ISNY (mh) - „Arm durch Arbeit“ heißt das Buch, aus dem Markus Breitscheidel am Freitag in der Gotischen Halle des Isnyer Paul-Fagius-Hauses gelesen hat. Darin beschreibt der Autor, wie es ihm in den 15 Monaten erging, in denen er undercover als Hartz-IV-Empfänger und als Arbeiter im Niedriglohnsektor lebte.
Auf Initiative der SPD Isny hatte das „Soziale Bündnis Isny“ Markus Breitscheidel zu der Autorenlesung eingeladen.
Vor rund 80 Anwesenden las er aus seinem Buch und erzählte ergänzend dazu. Die Veranstaltung wurde durch die Band „Der Dritte Mann“ musikalisch umrahmt. Viele Besucher nutzten die Möglichkeit, nach der Veranstaltung im anschließenden Nacht-Café zu diskutieren. An Stelle eines Eintritts wurde um Spenden für den Kinderschutzbund Isny gebeten. Für sein Buch hatte sich Markus Breitscheidel ein halbes Jahr lang über die deutsche Sozialgesetzgebung informiert, „um letztendlich zu wissen, was ich überhaupt kritisiere“, sagte er. Denn zu kritisieren hat er viel, er hat das Leben in Abhängigkeit vom Staat kennen gelernt. Was er beschreibt, erlebte er am eigenen Leib. Deshalb sei „diese Art der Recherche auch so wichtig, denn da fühlt man, riecht man, schmeckt man, wie es diesen Menschen geht“, sagte er. „Als Hartz-IV-Empfänger sind Sie gesellschaftlich nahezu ausgeschlossen“, berichtete Markus Breitscheidel. Während seiner Recherche habe er sich verändert, was besonders Freunde und Bekannte bemerkt hätten. „Was sich in diesen 15 Monaten besonders abgebaut hat, ist das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen“, sagte er. Durch Armut ändere sich nicht nur das gesamte Leben, sondern auch der Charakter der Menschen. Bei ihm habe es drei Monate gedauert, bis sich das alte Selbstwertgefühl zurückentwickelt hatte. Doch vor der Arbeit stand die Jobsuche. In über 100 Bewerbungsgesprächen, die er im Laufe der Zeit geführt hat, wurde ihm schnell klar, dass er als „Mensch zweiter Klasse“ gesehen wurde. „In meinen Bewerbungsgesprächen, die ich vorher geführt habe, war das immer auf gleicher Augenhöhe, aber hier wurde sofort deutlich gemacht, dass man mindestens eine Stufe, meistens sogar zwei Stufen drunter liegt“, berichtete Breitscheidel. Unter anderem arbeitete er in verschiedenen Städten als Erntehelfer und als Leiharbeiter. Er sei so tief in seiner Rolle gewesen, dass er auch schon „der typische Ja-Sager war, wie jeder Leiharbeiter, wie jeder Mensch im Niedriglohnsektor“.
Positive Erfahrungen habe er während der Recherche nicht gemacht. Er hatte an die ursprünglich geplanten zwölf Monate noch weitere drei Monate angehängt, um noch etwas Positives zu finden „aber ich habe nichts auf den Tisch bekommen“. Sein bester Bruttolohn sei bei 7,50 Euro gelegen und häufig war er von der Aufstockung des Gehaltes durch den Staat abhängig. Die Fernsehberichte über Hartz-IV-Empfänger, die nicht arbeiten wollen, hält er für „sehr fadenscheinig. Wenn man, wie ich, selbst gefühlt hat, wie man sich als Mensch zweiter Klasse in unserer Gesellschaft fühlt, entwickelt man Mitgefühl für den anderen Menschen“, sagte er. „Das ist es, was wir letztendlich in unserem Land dringend benötigen“.
Reformbedürftig
Die Anklage an den aktuellen Zustand unter Leiharbeitern und Arbeitslosengeld-II-Empfängern richtete sich natürlich auch direkt an die SPD, die die Hartz-Reformen mit beschlossen hatte. „Ich denke, die Situation, die heute beschrieben wurde, ist sicher reformbedürftig“, meinte der Isnyer SPD-Ortsvorsitzende Otto Ziegler. „Die Kritik muss man hören und es in der Zukunft besser machen.
Schwäbische Zeitung 08.02.10