Jahrelang propagierte die CDU ihre Thesen von der marktradikalen „Neuen sozialen Marktwirtschaft“. Inzwischen will sie sich daran nicht mehr erinnern.
Es ist noch nicht lange her, da konnte die Politik in Deutschland der CDU nicht neoliberal genug sein. Unions-Fraktionsvize Ronald Pofalla nannte Franz Müntefering im Mai 2005 einen „Neandertaler-Sozialisten“, nachdem der SPD-Vorsitzende Private Equity-Firmen als Beispiele für Unternehmen genannt hatte, die „asozial“ und „marktradikal“ handeln würden. Peter Ramsauer bezeichnete Forderungen der SPD nach Regeln für Managergehälter noch im April 2008 als einen Schritt zurück in die Denkweise der DDR. Und die CDU-Vorsitzende Angela Merkel propagierte jahrelang eine „Neue Soziale Marktwirtschaft“: Nur ein schlanker Staat sei zukunftsfähig und sozial. Während das im Oktober 2007 verabschiedete Hamburger Programm der SPD jene Spekulationen der entfesselten Finanzmärkte, „die einer nachhaltigen und langfristig ausgerichteten Wirtschaftsweise entgegenstehen“, heftig kritisierte, beinhaltet das nur wenige Wochen später beschlossene CDU-Grundsatzprogramm eine unkritische Hymne auf den globalen Finanzkapitalismus: „Die CDU steht seit jeher für eine Politik, die auf die positive Gestaltungskraft freier Märkte und fairen Wettbewerbs vertraut. Der multilaterale Freihandel ist für uns die entscheidende Voraussetzung für globales Wirtschaftswachstum und Gerechtigkeit. (…) Der globale Finanzmarkt trägt zur Erhöhung des Wohlstands in der Welt bei und ermöglicht in Form von Investitionen den wirtschaftlichen Aufstieg vieler Schwellenländer.“ Seit am 15. September 2008 an der Wall Street die Investmentbanken in sich zusammenfielen, hat sich jedoch viel geändert. Der Turbokapitalismus ist in seiner größten Krise. Das marktradikale Denken hat nicht nur eine Finanzkrise, sondern auch eine Wirtschaftskrise ausgelöst, deren Folgen noch nicht absehbar sind. Seitdem haben wir es mit einer völlig neuen Debattenlage zu tun. Die Marktradikalen haben nicht mehr die Meinungsführerschaft, ihr Irrtum ist offensichtlich. Politik und Staat, die zeitweise getrieben waren von der Macht und Eigendynamik der deregulierten Märkte, müssen nun national und international neue Spielregeln für die soziale Marktwirtschaft schaffen. Angesichts dieser neuen Lage entschloss sich die CDU zu einer Kehrtwende: Die alten programmatischen Forderungen wurden nun nicht mehr erwähnt oder einfach verleugnet.